Rathaus in Oldenburg

Nachdem das Bundesverwaltungsgericht am 15.10.2020 seine Entscheidung verkündet hatte, die Klage der Stadt (und anderer Kläger) gegen das Eisenbahnbundesamt wegen des Ausbaus der Bestandsstrecke der Bahn mitten durch die Stadt abzuweisen, benötigte das Gericht fast vier Monate Zeit, um seine Entscheidung auf 34 Seiten zu begründen. Das Urteil bzgl. der anderen Kläger, die Bahnanlieger sind, wird wohl zeitgleich schriftlich ergangen sein.

 

 

Die Stadt hatte im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht geltend gemacht, dass sie auch in eigenen Rechten betroffen ist. Hierauf geht das Bundesverwaltungsgericht ein. So setzt sich das Gericht u. a. mit dem Einwand auseinander, dass die Errichtung der Lärmschutzwände auf der Bestandsstrecke einen erheblicher Eingriff in das Stadtbild darstellt, dass der Ausbau der Bestandsstrecke die Situation an höhengleichen Bahnübergängen weiter verschlechtert und mit erhöhten Schrankenschließzeiten zu rechnen ist, dass der Verkehr auf der alten Eisenbahnbrücke über die Hunte den Schiffsverkehr beeinträchtigt und auch darauf, dass ein städtischer Kindergarten durch die Streckenführung auf der Bestandsstrecke und die Baumaßnahmen betroffen ist.

Das Bundesverwaltungsgericht geht auch darauf ein, dass im Planfeststellungsbeschluss der kritische Bahnübergang „Am Stadtrand“ in Ofenerdiek nicht berücksichtigt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht gesteht der Stadt auch zu in ihren eigenen Rechten insoweit betroffen zu sein, dass zusätzlicher Verkehr auf der Stadtstrecke den Brand- und Katastrophenschutz betrifft und die Stadt ihre eigenen Rechte geltend macht, wenn sie im Fall plötzlicher Unfälle darauf verweist, dass die Zugangsstellen zu den Bahngleisen, die durch Lärmschutzwände abgeschirmt sind, nicht ausreichend sind.

Alle geltend gemachten Einwendungen werden vom Bundesverwaltungsgericht mit einem zentralen Argument beiseite gewischt, das sich wie ein roter Faden durch das ganze Urteil durchzieht:
Das Bundesverwaltungsgericht übernimmt die Argumentation der Bahn, wonach der Ausbau der Bestandsstrecke im Rahmen der „plangegebenen Vorbelastung“ liege und die Beeinträchtigungen deshalb hinzunehmen seien. 

Diese plangegebene Vorbelastung wird daraus abgeleitet, dass das Eisenbahnbundesamt die ursprüngliche Verkehrsprognose für 2025 von 77 Güterzügen auf 39 Güterzüge pro Tag in einer neueren Prognose für 2030 reduziert hatte. Diese Reduzierung wird nach der Argumentation der Bahn mit einer neueren Seeverkehrsprognose der Fa. TRIMODE GmbH begründet, die von einem geringeren Containerverkehrsaufkommen ausgeht. 

Damit ist aber noch nicht erklärt, wie viele in Wilhelmshaven gelöschte Container tatsächlich auf die Schiene kommen, wie viele mit dem LKW weiter transportiert werden und wie viele über sogen. Feederschiffe verladen werden. 

Hinsichtlich der Berechnung der Zahl der Container, die mit dem Zug weiterfahren, übernimmt das Bundesverwaltungsgericht schlicht die Argumentation der Bahn mit Formulierungen, die sich jeglicher Nachprüfbarkeit entziehen. So heißt es auf Seite 21 des Urteils, die Bahn habe in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die neu berechneten 39 Güterverkehrszüge „im Rahmen eines komplexen, seit Jahrzehnten im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung eingesetzten Modellierungs- und Umlegungsprozesses ermittelt“ worden seien. 

Politische Äußerungen der Bahn, aus Gründen des Klimaschutzes mehr Verkehr auf die Schiene bringen zu wollen, werden als „programmatische politische Zielsetzungen“ (Seite 22) beiseite geschoben, die bei einer methodisch korrekten Herangehensweise an die Verkehrsprognose nicht zu berücksichtigen seien. Auch die Tatsache, dass sich die Zahl der Personenzüge inzwischen erhöht hat und schon heute 56 Personenzüge fahren und nicht 48, die der Planung zu Grunde liegen, hält das Bundesverwaltungsgericht für irrelevant, weil die Planungszahlen der Bahn „nicht offensichtlich durch neuere Erkenntnisse überholt“ seien (Seite 23). 

Kommt das Bundesverwaltungsgericht mit dieser Methode somit zu dem Ergebnis, dass die Belastung der Stadt durch weitere Güterzüge und auch noch zusätzliche Personenzüge unterhalb der plangegebenen Vorbelastung liegt, fällt es natürlich auch nicht schwer, die eindeutige Vorzugswürdigkeit der Umgehungstrasse im Rahmen der Abwägung nicht zu berücksichtigen. 

Das Bundesverwaltungsgericht hat unter Berücksichtigung früherer Urteile festgestellt, dass die Verkehrsprognose der Bahn nicht zu beanstanden sei, „wenn sie nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, der ihr zugrunde liegende Sachverhalt zutreffend ermittelt und das Ergebnis einleuchtend begründet ist“ (Seite 19 des Urteils). Genau dies ist aber nicht der Fall. Die Verkehrsprognose der Bahn wurde von 2025 auf 2030 künstlich heruntergerechnet, um die mit der Planungsentscheidung verbundenen Grundrechtseinschränkungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und die Einschränkung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts gegenüber der Stadt rechtfertigen zu können. 

Hätte das Bundesverwaltungsgericht die Grundrechte der Bürger und das kommunale Selbstverwaltungsrecht ernst genommen, dann hätte das Gericht seinen eigenen Maßstäben folgend die Verkehrsprognose für den Güterverkehr auf der Schiene kritisch überprüfen müssen. Genau dies ist nicht geschehen. Das Gericht hat 1:1 die Argumentation einer Prozesspartei wiederholt und diese Argumentation im Urteil einfach abgeschrieben. Damit hat es auf indirektem Wege der Einschränkung der Grundrechte der Anlieger und der Einschränkung des verfassungsmäßigen Selbstverwaltungsrechts der Stadt den Weg geebnet.

Es ist davon auszugehen, dass unmittelbar betroffene Bahnanlieger Verfassungsbeschwerde einlegen. Wenn dies geschieht, sollte die Stadt diese Anlieger unterstützen. Eine eigene Verfassungsbeschwerde ist nicht möglich, weil diese nur zulässig ist, wenn das kommunale Selbstverwaltungsrecht durch ein Gesetz verletzt wird, nicht wenn dies durch ein Urteil erfolgt. 

 

Hans-Henning Adler

Vorsitzender des Bahnausschusses
der Stadt Oldenburg